Führung und Charisma – Pfadfinder und Gruppenzusammenhalt
Prof. Dr. Dr. Siegfried Keil, Marburg
Tagungsband 2012, S. 191-208
Zusammenfassung:
Die deutschen Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbünde und -verbände haben in ihrer bisherigen Entwicklung neben der christlichen Orientierung der konfessionellen Verbände stets einen Weg zwischen jugendbewegter und scoutistischer Orientierung gesucht. Dabei sind Abenteuer und Naturverbundenheit stets wichtige Merkmale für das Gemeinschaftserlebnis in der Kleingruppe (Sippe) geblieben.
Die jugendlichen Führer/innen (Leiter/innen) dieser Kleingruppen sind weder mit dem eher älteren Scoutmaster der britischen Boy Scouts noch mit den ebenfalls meist älteren Charismatikern der deutschen Jugendbewegung vergleichbar, sondern haben gegenüber ihren nur etwas jüngeren Gruppenmitgliedern lediglich einen Vorsprung in den für die Gruppe konstitutiven Kompetenzen.
Für die Führung (Leitung) der größeren Zusammenschlüsse dieser Kleingruppen (Sippen) in einer Ortsgruppe (Stamm), Region (Gau) oder Land sind neben den gruppenpädagogischen Kompetenzen auch weitergehende organisatorische und jugendpolitische Kompetenzen gefragt, die in der Regel besser von einem Führungs(Leitungs)team wahrgenommen werden, deren Mitglieder auch älter sein können.
Die gruppensoziologischen Einsichten und Erkenntnisse über den Gruppenzusammenhalt sind im Laufe des 20. Jahrhunderts zunächst vor allem im Bereich der Industrie- und Militärsoziologie gewonnen worden. Dabei haben sich die Unterscheidungsmerkmale zwischen und innerhalb von Gruppen im Verlauf der letzten hundert Jahre von einer polaren zu einer mehrdimensionalen Betrachtungsweise entwickelt.
Der Führertypus der Deutschen Jugendbewegung –„für die Gruppe soll er sich und alles opfern“ – hat nicht nur zur Zeit der Jugendbewegung zu den bekannten, immer wieder neuen Abspaltungen und Neugründungen geführt, sondern kann auch heute nicht zum Gruppenzusammenhalt beitragen, wenn es darum geht, den jungen Menschen auf dem Weg ins Leben der modernen Gesellschaft zu begleiten.
Für den Führer einer Kleingruppe ist es daher wichtig, nicht nur Brücke und Vermittler zwischen der Gruppe und dem gruppennahen verbandlichen und jugendpolitischen Netzwerk zu sein, sondern vor allem mit den heranwachsenden Gruppenmitgliedern auch die gruppenfernen gesellschaftlichen Werte und Strukturen in Arbeitswelt, Politik und Wirtschaft zu bearbeiten.
Auch für die Persönlichkeitsentwicklung des Führers selbst ist es unerlässlich, ein objektives Verständnis der sozialen Strukturfaktoren der modernen Gesellschaft zu entwickeln, um die unterschiedlichen Verhaltenserwartungen der Umwelt und die eigenen Wertevorstellungen ganzheitlich integrieren zu können.